Newsletter vom 09.07.2006 , 15:52
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Titel: Presseerklärung des NoLager-Netzwerkes zu den mutmaßlichen Anschlägen in Bramsche
Presserklärung NoLager-Netzwerk

Betrifft: Mutmaßlicher Anschlag auf Conrad Bramm

In mehreren Tageszeitungen ist in den vergangenen Tagen von einem mutmaßlichen Anschlag auf den Leiter des Abschiebelagers Bramsche-Hesepe, Conrad Bramm, berichtet worden (u.a. Osnabrücker Zeitung vom 6.6., Hannoversche Allgemeine und Weserkurier vom 7.6. sowie taz vom 7.6. und 8.6.). Konkret: Es sollen die Radmuttern hinten links an seinem Auto gelöst worden sein, um einen Unfall zu provozieren (in manchen Zeitungen ist sogar von zwei Anschlägen die Rede, die Polizei hat unseres Wissens jedoch nur einen Anschlag bestätigt). Gleichwohl die Täter des mutmaßlichen Anschlags unbekannt sind, nimmt insbesondere Conrad Bramms Vorgesetzter Christian Lüttgau, Leiter der zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde Blankenburg, einen ausdrücklichen Brückenschlag zu den Aktivitäten des NoLager-Netzwerks vor, insbesondere zu den Aktionstagen in Bramsche-Hesepe vom 6.-8. Juni 2006.
Das NoLager-Netzwerk möchte deshalb mit allem Nachdruck darauf hinweisen, dass wir Gewalt gegen Menschen prinzipiell ablehnen. Und das Lockern von Radschrauben gehört ganz zweifelsohne in diese Kategorie; eine personelle oder politische Nähe zwischen NoLager-Netzwerk und dem mutmaßlichen Anschlag herbeizureden, verbietet sich mit anderen Worten von selbst!

Ziel des NoLager-Netzwerks ist es demgegenüber, die repressive Grenz-, Lager- und Abschiebepolitik nicht nur Deutschlands, sondern der EU insgesamt öffentlich zu kritisieren. Denn diese Politik ist menschenverachtend – und oftmals tödlich: Erinnert sei an die mehreren hundert Selbstmorde, die jährlich in Europas Abschiebeknästen begangen werden oder an die tödlichen Schüsse an den Grenzzäunen von Melilla und Ceuta im Oktober 2005 oder an die rund 1000 Menschen, die jedes Jahr auf ihrem Weg in die Festung Europa ums Leben kommen. Allein vor den Kanarischen Inseln sollen seit Beginn des Jahres sogar bis zu 4.000 Flüchtlinge und MigrantInnen ertrunken sein. Nicht zuletzt diese Zahlen zeigen, wie zynisch es ist, gerade den Menschen – unter ihnen viele Flüchtlinge –, die eine derartige auf Ausschluss, Vertreibung oder Illegalisierung zielende Politik in Frage stellen, ohne jeden Beweis tödliche Absichten anzudichten.

Wir möchten in diesem Zusammenhang auch zu den „Hausbesuchen“ Stellung beziehen, die von Innenminister Uwe Schünemann und Christian Lüttgau auf eine Stufe mit dem mutmaßlichen Anschlag auf Conrad Bramm gestellt werden. Besagte zwei Hausbesuche haben während der Aktionstage vom 6.-8. Juni stattgefunden – das kann einer im Internet veröffentlichen Darstellung entnommen werden. An ihnen seien jeweils rund 20-30 Personen beteiligt gewesen; sie hätten aus einer zweiminütigen Kundgebung vor den Häusern einer Mitarbeiterin und eines Mitarbeiters des Abschiebelagers sowie der Verteilung satirisch gehaltener Flugblätter bestanden, in welchen die NachbarInnen über das konkrete Verhalten der beiden MitarbeiterInnen aufgeklärt worden seien. Ziel der Aktionen ist es also mitnichten gewesen, wie Uwe Schünemann und Christian Lüttgau Glauben machen wollen, die beiden MitarbeiterInnen einzuschüchtern, auch sind die beiden MitarbeiterInnen wohl nicht – wie anderweitig kolportiert – als „Schweine“ beschimpft worden. Die Hausbesuche sollten vielmehr, so verstehen wir besagte, auf www.nolager.de dokumentierte Internet-Darstellung, ein Licht auf den Umstand werfen, dass das Leben der im Abschiebelager Bramsche-Hesepe untergebrachten Menschen permanent und auf allen Ebenen, selbst auf der Ebene körperlicher Hygiene, durch Vorschriften sowie (willkürliche) Maßnahmen des Lagerpersonals reguliert wird. So etwas wie eine Persönlichkeitssphäre besteht praktisch nicht, noch nicht einmal in den eigenen Zimmern, wo die Flüchtlinge meist mit 4 oder 5 anderen Menschen untergebracht sind, und das oftmals jahrelang. Bei den Hausbesuchen ist es demnach darum gegangen, just diese Machtverhältnisse symbolisch für zwei Minuten umzudrehen und so zu zeigen, was es heißt, wenn jederzeit Gefahr droht, dass in das eigene Leben durch Dritte eingegriffen wird. Die Auswahl der Besuchten scheint darüber hinaus nicht zufällig gewesen zu sein. Denn es sollen – auch das geht aus der bereits zitierten Internet-Darstellung hervor – zwei MitarbeiterInnen besucht worden sein, denen von Flüchtlingen nachgesagt wird, sich im Alltag besonders schikanös zu verhalten, d.h. ihre ohnehin großen, Repression und Zermürbung rechtlich sanktionierenden Spielräume sogar zu überschreiten und die von ihnen abhängigen Flüchtlinge nach eigenem Gutdünken zu drangsalieren, beleidigen und demütigen. Insgesamt folgt für uns hieraus, dass es schlicht absurd ist, eine Verbindungslinie zwischen den so genannten Hausbesuchen und einem potentiell tödlichen Anschlag zu ziehen.

Seit Bestehen des Lagers – seit über fünf Jahren – wird massiv Kritik an der Konzeption des Lagers und an der Art der Unterbringung der Flüchtlinge formuliert. Eine inhaltliche Widerlegung der Kritik hat es bisher von Seiten der Verantwortlichen nie gegeben, meist noch nicht einmal eine detaillierte Stellungnahme. Stattdessen wurde und wird die Kritik pauschal als unwahr verurteilt; und auch die Diskreditierung der aktiven Gruppen als „unseriös“ gehörte von Anfang zum Standardrepertoire der Verantwortlichen. So lehnte schon im Jahr 2001 das Niedersächsische Innenministerium die Beteiligung an einer Podiumsdiskussion mit dem Hinweis ab, daß der eingeladene Ministerialbeamte befürchte, auf dieser Veranstaltung angegriffen zu werden. In der Folgezeit wurde verschiedenen Organisationen, die ebenfalls eine kritische Haltung gegenüber dem Lager entwickelt hatten, nahe gelegt, nicht mit bereits aktiven Gruppen wie Avanti! zusammenzuarbeiten. Begründung dafür waren in der Regel verwaschene Hinweise auf vorgebliche Warnungen seitens des niedersächsischen Verfassungsschutzes bzw. des Innenministeriums.

Der Versuch, NoLager-AktivistInnen in eine kriminelle Ecke zu drängen und so die Proteste gegen das Lager zu stoppen, ist mit anderen Worten nicht neu. Mit der Behauptung eines Zusammenhangs zwischen NoLager und dem mutmaßlichen Anschlag auf das Leben eines Mitarbeiters des Lagers, erreicht die Kriminalisierung jedoch eine neue Qualität. Dies ist nicht hinzunehmen, zumal das dahinter steckende Interesse all zu offensichtlich ist: Bereits seit Monaten kommt das Abschiebelager Bramsche nicht mehr aus den Negativschlagzeilen. Daran konnte noch nicht einmal ein demonstrativer Lager-Besuch von Innenminister Schünemann Mitte Mai (inklusive Landespressekonferenz) grundlegend etwas ändern. Was bietet sich da Einfacheres an, als die AktivistInnen des NoLager-Netzwerks in den Dunstkreis unverantwortlicher GewalttäterInnen zu bugsieren und auf diese Weise die berechtigte und notwendige Kritik am Abschiebelager Bramsche-Hesepe zu diskreditieren?! Als NoLager-Netzwerk kündigen wir hiermit an, dass wir den aktuellen Kriminalisierungsversuch als Ermutigung begreifen, mit unseren Aktionen fortzufahren. Unsere Forderungen lauten weiterhin: „Keine Lager – nicht hier und nicht anderswo! Für globale Bewegungsfreiheit! Gleiche Rechte für alle!“

8. Juli 2006, NoLager-Netzwerk